Volkskunst als kreative Aneignung der Moderne?
Die Laienzirkel in der frühen DDR zwischen politischer Lenkung und ästhetischer PraxisAssoziiertes Dissertationsprojekt
Doktorantin: Cornelia Kühn
In der DDR der fünfziger Jahre hatte die „Volkskunst“ einen hohen Stellenwert als realistische und „vom Volk geschaffene“ Kunst. Sie wurde in der sozialistischen Kulturpolitik als ästhetische Praxis der Auseinandersetzung mit der industriellen Moderne verstanden und mit dem Entwurf einer sozialistischen Gesellschaftsordnung und einem sozialistischen Menschenbild verknüpft. Allerdings wurden mit „Laienkunst“ bzw. „Volkskunst“ nicht nur bildende Kunst und Kunsthandwerk bezeichnet, sondern auch Volkstanz, Volksmusik oder Laienspiel. In Wettbewerben und Ausstellungen wurden die Ergebnisse dieser „sozialistischen Volkskultur“ als ein Gegenentwurf zur kapitalistischen Unterhaltungsindustrie popularisiert. Dabei waren mit den kollektiven Freizeitangeboten soziale, ideelle, kreative und erzieherische Komponenten verbunden.
In meinem Promotionsvorhaben sollen zum einen verschiedene Akteure der DDR-Volkskunst in den unterschiedlichen kulturpolitischen Etappen dargestellt und ihre Auseinandersetzung um die inhaltliche Bestimmung der sozialistischen Kulturarbeit und deren praktische Umsetzung in den Volkskunstzirkeln skizziert werden. Dafür werden die verschiedenen Vorstellungen einer „richtigen“ Volkskultur zu dieser Zeit demonstriert und die unterschiedlichen Positionen und entsprechenden Argumentationen umrissen. Als Knotenpunkt der Analyse wird das Zentralhaus für Volkskunst (später: Zentralhaus für Kulturarbeit) in Leipzig gewählt, an dem sich die Debatten der staatlichen Kulturpolitik bzw. der zentralen Kulturfunktionäre mit der wissenschaftlichen Volkskunde, den Massenorganisationen, den regionalen Volkskunsteinrichtungen und den einzelnen Laienkunstgruppen nachzeichnen lassen. Mit dem Fokus auf die verschiedenen Akteure und die jeweiligen Kontexte (die politische Ideengeschichte der sozialen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die Umsetzung der marxistischen Kulturpolitik, die Jugendpolitik in der DDR etc.) soll eine Vielfalt möglicher Perspektiven und Einflüsse auf die Volkskunstzirkel in den fünfziger Jahren betrachtet und Fragen nach Übersetzungen und Interaktionen, nach Anpassungen und Grenzziehungen bei der zunehmenden Ideologisierung und Instrumentalisierung der Volkskunst sowie nach Dominanzen und Hierarchien der Akteure in diesem Aushandlungsprozess nachgegangen werden.
Zum anderen sollen die kulturellen und sozialen Praxen der konkreten Volkskunstzirkel in der DDR anhand eines Fallbeispiels – des Klubhauses Hennigsdorf bei Berlin – genauer betrachtet werden. Aushandlungen und Freiräume in der Vermittlung und der Anwendung der von der SED-Regierung vorgegebenen kulturpolitischen Richtlinien werden bei diesem Untersuchungsfeld im Mittelpunkt stehen, um die Interaktion von Herrschaft und Gesellschaft, die Identifikationen mit der Politik und Grenzen der Diktatur in der Alltagspraxis konkretisieren zu können. Ziel der Untersuchung ist es, den Transferprozess der kulturpolitischen Konzepte als kulturell orientierendem Wissen in den Alltag mit ihren jeweiligen Übersetzungen, Aushandlungen, Rückwirkungen und neuen Produktionen von kulturellem Wissen und sozialen Praktiken der verschiedenen Akteure differenziert darzustellen. Durch die ethnografische Nahaufnahme der Volkskunstarbeit als „Laborstudie“ soll in dieser Arbeit das Konzept des Wissenstransfers weiterentwickelt werden.
Für die Untersuchung sind einerseits Analysen von Archivalien besonders des Zentralhauses für Volkskunst/Kulturarbeit Leipzig im Archiv der Akademie der Künste, des Berliner Volkskunstkabinetts/Hauses für Kulturarbeit im Landesarchiv Berlin, des Klubhauses Hennigsdorf im Stadtarchiv Hennigsdorf und weitere Archivakten zur kulturellen Massenarbeit im Bundesarchiv Berlin sowie die Analyse der Zeitschrift „Volkskunst“ sowie andererseits qualitative Interviews mit verschiedenen Zirkelteilnehmern, Zirkel- bzw. Klubhausleitern und weiteren Experten vorgesehen.