Volkskunde in der Metropole II

Die Produktion kultureller Wissensformate und das volkskundliche Wissensmilieu in Berlin (1900-1945)

Förderzeitraum         04/2010 - 03/2013
Förderinstitution       Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Weil die Großstadt erst spät zu einem Forschungsfeld für Volkskundler/innen wurde, erscheint Berlin, dieses „Labor“ moderner und urbaner Kulturen zum Beginn des 20. Jahrhunderts, zunächst als ein atypischer Ort volkskundlicher Disziplinbildung. Denn Volkskundler/innen fanden ihre Sammlungs- und Forschungsgegenstände - Sitten und Bräuche, Lieder, Trachten, Märchen und Hausformen - vor allem in ländlichen, bäuerlichen Kontexten. Die Landbevölkerung, so glaubten sie, hätte Traditionen deutscher Kultur bewahrt, die man für ursprünglich und authentisch hielt. Gleichwohl bot Berlin als Bühne der Neuverhandlung von Kultur- und Gesellschaftsentwürfen auch der Volkskunde besonders attraktive Thematisierungs-, Institutionalisierungs- und Präsentationsmöglichkeiten ihrer Stoffe an. Gerade hier konnte die Volkskunde nachhaltig in gesellschaftliche Selbstbeschreibungsprozesse eingreifen und mit ihren modernen Dokumentations-, Repräsentations- und Formatierungspraxen nicht nur regionale und nationale, sondern auch urbane „Identitätspolitiken“ mitgestalten.

Das Projekt beschäftigt sich mit den komplexen Wechselbeziehungen und Wirkungsverhältnissen von Metropole, volkskundlich-ethnografischem Wissen und sozialen Akteuren im spezifischen Kontext Berlins zwischen 1900 und 1945 und erweitert bisherige Fachgeschichten zum Verhältnis von Volkskunde und Stadt durch eine dezidiert wissensgeschichtliche Perspektive: Es werden Aufschlüsse darüber gesucht, wie sich volkskundliche Akteure und volkskundliches Wissen in der synchronen wie in der diachronen Perspektive in urbanen Kontexten „bewegten“ und welchen Resonanzraum dieses Wissen dort erfuhr. Zwei Fallstudien nehmen dazu charakteristische Schnittstellen des Berliner volkskundlichen Wissensmilieus mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, Akteuren und Praxen in den Blick: Am Beispiel der Themenfelder „Tracht“ und „Haus“ wird untersucht, wie sich die urbanen Aktionsräume des volkskundlichen Wissensmilieus gestalteten, in welchen Wissensformaten - etwa Ausstellungen in Museen und auf Messen, populäre Zeitschriften oder wissenschaftliche Veranstaltungen - sich volkskundliches Wissen ausbreitete und inwiefern es dabei Geltung und Wirkung erlangte – als Beitrag zu urbanem „Habitus“ und „Habitat“.

Volkskunde in der Metropole